Faith Wilding: "Waiting With" im Konferenz- & Performanceprogramm.
Foto: Jan Stradtmann
Ein Programm mit Performances von Künstlerinnen unterschiedlicher Generationen,
Performance-Interviews, Gesprächen und theoretischen Reflektionen in der
Akademie der Künste, Berlin (22. – 25. Januar 2009) ging der Frage nach der
Archivierbarkeit, Dokumentierbarkeit und Wi(e)deraufführbarkeit von Performance
nach und stellte aktuelle Strategien genderkritischer und interventionistischer
Performance vor. Was motiviert junge Künstlerinnen und Künstler heute, sich
auf diese historischen Positionen zu beziehen? Was bedeutet dieser Rückgriff
für die Zukunft?
Die Konferenz fand in englischer
Sprache statt. Im Folgenden finden
Sie die Vorträge als Audiodateien. Kurze Zusammenfassungen erhalten
Sie beim Klicken der Vortrags und Performancetitel. Eine pdf Version
des Programms erhalten Sie: hier
I. Jenseits des Kanons: Feministische Bewegungen und Performancekunst der 1960er und 70er Jahre
The “performative impulse” -
a look back on some transgressive scenes of 20th-century art
Vortrag von Silvia Eiblmayr (A) (Kunsthistorikerin und Kuratorin)
Mit der Transgression kanonisierter
Darstellungsformen in der Moderne, zu deren Auslösern die neuen
Techniken zur Bildproduktion gehören, verbindet sich ein „performativer
Impuls“, der das Bild in einen Schauplatz verwandelt. Diesen Szenarien
eingeschrieben ist, dass die „Dominante Fiktion“ (Kaja Silverman)
dessen, was „männlich“ oder „weiblich“ sei,
unterlaufen wird – ein entscheidender Ansatz für die feministische
Kritik an den konventionellen Bildpolitiken seit den 1960er Jahren.
When Private was not Political: Making Sex in State-Socialism
Vortrag von Bojana Pejić (SRB / D) (Kunsthistorikerin und Kuratorin)
Der Vortrag
befasst sich mit vier Arbeiten, die in der Zeit des Kommunismus in Jugoslawien
und Polen entstanden sind und die sich alle mit der aktiven weiblichen
Sexualität auseinandersetzen. Zunächst wird ein Kurzfilm des
jugoslawischen Regisseurs Dusan Makavejev diskutiert, anschließend
geht es um jeweils eine Performance von der polnischen Künstlerin
Natalia LL, von Sanja Ivekovic und von Marina Abramović. Alle diese Arbeiten
können als Akte des Widerstands gegen das herrschende sozialistische
Patriarchat verstanden werden und werden heute als Beispiele eines "latenten
Feminismus" (Zora Rusnikova) anerkannt.
Representing
Artist talk von Lorraine O'Grady (USA)
(Künstlerin)
O’Gradys
informeller Vortrag beschäftigt sich mit ihrer Arbeit als schwarze
Performancekünstlerin zu einer Zeit, in der feministische Performancekunst
fast ausschließlich von Weißen verkörpert wurde. Der
afroamerikanische Slangausdruck "Representing" ("Repräsentieren")
beschreibt die Problematik, mit der sich Künstler/-Innen und Intellektuelle,
die einer Minderheit angehören, damals wie heute auseinandersetzen
müssen: Nie sprechen sie für sich alleine, immer präsentieren
sie auch eine Minderheit. O’Grady wird die ambivalente Stellung
ihrer Arbeit auf der Grenze zwischen Akzeptanz und Verweigerung dieser
Aufgabe diskutieren.
Feministische Performancekunst der 70er Jahre in Frankreich
Vortrag von Fabienne Dumont (F) (Kunsthistorikerin)
Die Künstlerinnen aus der Generation der 68er stehen in Frankreich
im Zentrum zweier radikaler Bewegungen: Der Frauenbewegung und der Fülle
politisierter Kunstpraktiken, die von Männern dominiert wurden.
In diesem Spannungsfeld brechen viele der Künstlerinnen mit ihrer
bisherigen Praxis und versuchen ihr feministisches Bewusstsein mit ihrer
Kunst inhaltlich in Einklang zu bringen. Außerdem entstehen mehrere
Künstlerinnengruppen, die den Rahmen für einige der Performances
abgeben, während andere unabhängig ausgeführt werden.
Dieser Vortrag thematisiert einige dieser Performances – besonders
ihr Verhältnis zum historischen Kontext in Frankreich (Orlan, Lea
Lublin, Françoise Janicot, Gina Pane, Nil Yalter, Nicola, Lygia
Clark, usw.).
Body Action. Performative tendencies in East
Germany
Vortrag von Angelika Richter (D) (Kunstwissenschaftlerin
und Kuratorin)
Dieser Vortrag liefert eine Einführung in die spezifische politische
und kulturelle Situation der DDR, die berücksichtigt werden muss,
wenn man einen genaueren Blick auf die bildenden Künste und insbesondere
auf die Arbeiten von (Untergrund-) Künstlerinnen richten möchte.
Der Vortrag wird der Frage nachgehen, warum sich in Ostdeutschland in
den 1960ern und frühen 1970ern weder eine feministische Tradition
in der Kunst etablierte, noch eine Performancekunst entwickelte. Der
Blick auf die vielfältige Überschneidung von Gesichts- und
Körperbemalungsaktionen, Handlungsexperimenten mit Kostümen
und Masken, dadaistischen Theateraufführungen, expressiven Tanz-
und Musiksessions, Lesungen von Theaterstücken, Freilufttreffen,
Environments, Improvisationen, Super-8-Filmen und später die Rituale
der sogenannten Autoperforationsartisten, die in den späten 1970ern
und 1980ern entstanden, zwingt uns dazu, die Idee und den Begriff der "Performance" neu
zu überdenken.
Frauenkultur – Kontaktversuch
Vortrag von Ulrike Rosenbach (D)
(Künstlerin)
Frauenkultur – Kontaktversuch
ist eigentlich der Titel einer meiner Video-live-Performance Arbeiten
aus dem Jahr 1977. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits eine fast zehnjährige
Erfahrungsspanne als Künstlerin hinter mir und die meiste Zeit dieser
Dekade arbeitete ich mit künstlerischen Themen zum Kontext weiblicher
Kunst. Bereits 1969 hatte ich erste Kontakte zur Frauenbewegung in der
Kunst – vorwiegend zu amerikanischen Künstlerinnen und Gruppen
in Los Angeles und New York. 1976 gründete ich die „Schule
für kreativen Feminismus“ als eine Arbeitsgemeinschaft, die
sich mit der Kulturgeschichte der Frau und ihrer Kunst diskutierend auseinandersetzte.
II Wi(e)deraneignung in zeitgenössischer performativer
Praxis
replay urgency
Artist
talk von Tania Bruguera CU (Künstlerin)
Tania Bruguera setzt sich
mit der Art und Weise auseinander, wie Performances in den letzten Jahren
in Re-Enactments wieder aufgegriffen wurden. Sie beschäftigt sich
dabei mit deren Verhältnis zu der kontextuellen Dringlichkeit, die
die ursprüngliche Performance hervorgebracht hat und deren ursprünglich
intendierte Dauerhaftigkeit bzw. Flüchtigkeit.
Remimesis: Feminism, Theatricality, and Acts of
Temporal Drag
Vortrag
von Rebecca Schneider (USA) (Professorin für Theatre, Speech and
Dance, Brown University)
Dieser Vortrag untersucht das Verhältnis zwischen
der problematischen Zeitlichkeit der Mimesis und der feministischen und
queeren Politik des zeitgenössischen Re-enactments. Welche Zeit
ist jetzt? Zu welcher Zeit gehört N.O.W. (National Organisation
for Women)? Wenn sich das Weibliche über eine lange Zeit hinweg
durch die Pose, das Gestellte, das Aufgezwungene und das Imitierte artikulierte,
welche Zeit ist dann das Weibliche? Wie wird das Zeitliche (und das Theatralische)
der Pose in den zeitgenössischen Kunstwerken, die sich einer kritischen
Untersuchung verschrieben haben, eingesetzt? Der Vortrag ist Teil eines
größeren Projektes, das sich mit den intermedialen Lücken
und Spalten zwischen Performance, Theater und Fotografie beschäftigt.
N.O. Body
Film (13 min, 2008) und Artist talk der Künstlerinnen Pauline
Boudry und Renate Lorenz (D)
Der Film reinszeniert eine Fotografie
der ‚bearded Lady’ (Bartdame) Annie Jones (1865–1902).
Gezeigt wird, wie sich der Performer Werner Hirsch mit dieser Fotografie
und ihrer sozialen Position auseinandersetzt und diese nachstellt. Die
Fotografie durchläuft zwei verschiedene Kontexte: Sie nimmt ihren
Ausgang in der Freak-Show des Zirkus Barnum, der Annie Jones gegen Gebühr
als Sehenswürdigkeit ausstellte. Sie endet auf der medizinischen
Bühne, als potentielle Patientin im Bildteil des Buchs Geschlechtskunde
des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld. Was bedeutet es für
die Produktion von Normalität und Abweichung, wenn das Objekt der
Wissenschaft sich die Rolle des Wissensproduzenten aneignet, zu lachen
beginnt und damit die Geschichte der Wissensproduktion aufbricht? Die
Vorstellung eines entleerten Auditoriums schreibt den potentiellen Zuschauer/-innen
eine neue Position zu: N.O.body (kein Körper).
III Performance im öffentlichen Raum
The Body Public:
From Private Performance to
Public Policy in Feminist Art
Vortrag von Suzanne
Lacy (USA)
(Künstlerin)
Suzanne Lacys Arbeit umspannt drei Dekaden. Als eine
Pionierin sowohl der Performancekunst als auch der feministischen Kunst
der 1970er, setzt sich ihre heutige Arbeit im öffentlichen Raum – als
Performance und als Installation – bis heute mit der Bedeutung
und der Politik der Geschlechter auseinander.
Performance
Saga (Katrin Grögel D & Andrea Saemann CH): Interview
mit Sanja Iveković (HR)
Performance Saga betreibt auf mehreren Ebenen die Vermittlung und Aktualisierung
von Performancegeschichte und nährt den Generationen übergreifenden
Dialog. Das Projekt beinhaltet das Initiieren und Realisieren von Performances,
die Publikation von Videointerviews und die Konzeption von Veranstaltungen.
Performance Saga ist ein Projekt der Künstlerin Andrea Saemann und
der Kunsthistorikerin Katrin Grögel, die als Beitrag zur Konferenz
von re.act.feminism ein Live-Interview mit der Künstlerin Sanja
Iveković führten.
IV Performance, Copyright und Archiv
Performance breakfast
Reaktionen und Kommentare zum Performanceprogramm von André Lepecki
(USA) (Dramaturg, Autor und Kurator)
Archival Events and Eventful Archives
Vortrag von Paul Clarke (UK) (Forschungs Fellow „Performing the Archive“,
University of Bristol & Arnolfini)
Worin besteht die Performance
eines Dokuments und inwiefern sind Archive, die diese aufbewahren performativ?
Lassen sich Produktion, Zirkulation und Rezeption von Dokumenten der
Performancekunst in den zeitlichen Rahmen der Aktionen selbst einordnen?
Wie bleiben Performances erhalten und wie können ihre Hinterlassenschaften
dauerhaft gesichert werden? Wo werden diese Spuren für die Nachwelt
aufbewahrt? Was ist der Stellenwert der ephemeren Überbleibsel,
die im individuellen oder kollektiven Gedächtnis gespeichert sind,
und die über Mund-zu-Mund-Propaganda, in Form von Gerüchten,
durch Hörensagen und mündliche Überleiferung kursieren?
Kann sich Performance selbst dokumentieren oder archivieren? Dieser Vortrag
bezieht sich auf das durch die Stiftung Great Western Research geförderte
Forschungsprojekt Performing the Archive: the Future of the Past (Das
performative Archiv: Die Zukunft der Vergangenheit), das am Live Art
Archive der Theatersammlung der University of Bristol und am Arnolfini
Live’s Archive angesiedelt ist.
An approach of a Feminist
Active Archive
Vortrag von Laurence Rassel (B / E) (Künstlerische Leiterin
Fundació Antoni Tàpies, Barcelona)
Diese Intervention bezieht
sich auf konkrete Beispiele, Arbeiten und laufende Untersuchungen, die
dazu verleit(et)en ein Archiv aufzubauen, das multiple, miteinander verknüpfte
Beziehungen von Objekten verschiedenen Formats und mit unterschiedlichen
Zielsetzungen (Kommentare, Transkriptionen, Texte, unbearbeitetes Ttonmaterial,
Aufnahmen, Kreationen) umfasst und das in einem präzisen und sich
entwickelnden Kontext verortet ist. Ich betrachte dieses Archiv als aktiv,
und wie ich hinzufügen möchte, als feministisch, also als prozessual,
als eine Einladung zum erneuten Lesen, zum Verbreiten von Wissen und
Praktiken. Das Archiv ist im Fluss und folgt dem Rhythmus der zeitgenössischen
künstlerischen und kulturellen Praktiken.
Bildwechsel
Vortrag von Chris Regn (D) (Künstlerinnenarchiv „Bildwechsel“,
Hamburg)
Bildwechsel wurde 1979 als ein Dachverband für Frauen gegründet,
um ihre Präsenz in den Medien, der Kultur und der Kunst zu stärken.
In Hamburg ansässig, stellt er einen gemeinsamen Ort und eine gemeinsame
Infrastruktur zur Verfügung. Dazu gehört ein Videoarchiv mit
ungefähr 7000 Titeln, eine Bücherei sowie verschiedene Archive
und Sammlungen. Ziel von Bildwechsel ist es, einen Überblick über
das Schaffen von Künstlerinnen zu ermöglichen, insbesondere
von Künstlerinnen, die in den letzten 30 Jahren aktiv waren. Mit
Bildwechsel verbundene Projekte wurden auch in Basel, Berlin, Warschau
und Glasgow ins Leben gerufen. Chris Regn wird ein Kunstprojekt vorstellen,
das Interviews und Videodokumentationen produziert und Archive und Sammlungen
zu Frauen und Medienkunst betreut.
From Presenter to Preserver:
Martha Wilson reviews 30 years of events and their documentation
Artist
talk von Martha Wilson (USA)
(Künstlerin und Direktorin von Franklin
Furnace, New York)
In ihrem Vortrag widmet sich Wilson der erotischen Seite
der Avantgarde, wobei der Schwerpunkt auf Karen Finley und Annie
Sprinkle sowie anderen Bad Grrrls liegt.